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Wenn ich keine Worte machen kann

Beten ohne Wortschwall – das ist nach Ansicht vieler Gebetslehrer ein erstrebenswertes Ziel. „Im Gebet ist es besser, das Herz ohne Worte sprechen zu lassen als Worte ohne Herz“ (John Bunyan). Und das biblische Buch Prediger (5,1-2) hat hier herausfordernde Mahnungen.

Räume der Stille schaffen

Sich der Stille auszusetzen ist also ein wichtiger Rahmen für unser Beten. Der Autor Strahan Coleman hat einige Tipps zum „Ausdünnen“ unseres Alltags gegeben. Dazu gehört auch: Autofahren ohne Radio oder Musik, Sport ohne In-Ears, stille Minuten am Schluss des Tages.

Doch Coleman kennt noch eine andere Seite der Medaille: nicht dass man weniger Worte machen sollte, sondern dass man gar keine Worte mehr machen kann. Coleman war viele Jahre lang durch eine chronische Erschöpfungskrankheit eingeschränkt, einschließlich der Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, und des brain fog. Und dann kamen auch keine sinnvollen zusammenhängenden Gebete mehr zustande.

Krankheit verhindert klares Gebet

Seine Erfahrungen (in seinem Buch Beholding. Deepening Our Experience in God, erschienen 2023 bei David C Cook) sprechen mich an, denn auch ich kenne Tage der körperlichen Schmerzen, an denen mir mental der Stecker rausgezogen ist. Ich bin reizbar, unkonzentriert, und meine Anreden an Gott bestehen in hechelnden Stoßgebeten, die Schmerzen mögen doch jetzt abnehmen und die Medizin endlich das tun, was der Beipackzettel verspricht.

Schweigen breitet sich in meinen Gedanken aus inmitten der aufgewühlten Empfindungen und der Enttäuschung über den Schmerztag. Bei Coleman finde ich nun den Gedanken, dass gerade dies eine Chance zum Gebet sein kann – zu einer anderen Art von Beten.

„Ich habe lange gebraucht, um zu lernen, wie ich mir Stille verschaffen kann. Aus gesundheitlichen Gründen verbrachte ich fast den ganzen Tag in Einsamkeit und Stille, aber das machte die Zeit nicht unbedingt zu einer Qualitätszeit. Eines Tages kam mir der Gedanke, dass all diese ‚nutzlose‘ Zeit, in der ich nicht arbeiten konnte, vielleicht eine Gelegenheit war, das Beten zu lernen, und so begann ich zu beten. Ich begann, auf die Stille zu achten, die schon von Natur aus vorhanden war. Allein der Akt, sich der Stille zuzuwenden und sie in den Umgang mit Gott einzuladen, verwandelt sie. Es hat meine Seele erlöst, was meine Krankheit zu stehlen versuchte. Ich bekam Schönheit anstelle von Asche.“

Eines Tages kam mir der Gedanke, dass all diese ‚nutzlose‘ Zeit, in der ich nicht arbeiten konnte, vielleicht eine Gelegenheit war, das Beten zu lernen, und so begann ich zu beten.

Strahan Coleman

Der Körper betet, indem er ist, wie er ist

Darüber hinaus entfaltet Coleman noch eine andere Dimension: das Gebet des Körpers. Damit meint er weder Ausdruckstanz noch meditatives Sitzen auf dem Gebetshocker. Vielmehr spricht er von der geschundenen Körperlichkeit, auf die man reduziert ist, wenn es einem schlecht geht. Eines Tages hörte er sich seufzen: „Vater, hör, wie mein Körper betet“. Und davon ausgehend kam eine tiefe Erleichterung über ihn: „Obwohl ich aufgrund von geistiger Erschöpfung und Müdigkeit nicht in der Lage war, bewusst mit Gott zu kommunizieren, schrie mein Körper auf und legte in meinem Namen Fürsprache für mich ein.“

Er erinnert sich an ein Erlebnis, als sein Sohn auf dem Sportplatz konsequent von den anderen in der Mannschaft gemieden wurde und er keinen einzigen Ball zugespielt bekam. Auf dem Nachhauseweg sprach er nicht darüber, wie es ihm ging. Doch seine Körperhaltung sagte alles. Und Coleman als Vater konnte das natürlich sofort „lesen“.

„Man könnte sagen, dass der Körper meines Sohnes in gewisser Weise zu mir betete – er sehnte sich nach Liebe, rief nach Ermutigung und Heilung –, und als sein Vater war ich in der Lage, dies zu sehen und darauf zu reagieren, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde. Ich konnte an seinem Körper ablesen, was er gedanklich und emotional nicht erklären konnte, und weil ich sein Vater bin, war das mehr als genug für mich, um ihn in diesem Moment zu lieben.“

Sollte Gott uns nicht noch viel besser „lesen“ und lieben können? Auch an vernebelten Tagen oder in unserem schmerzgekrümmten Körper? Für mich ist das eine wirklich erlösende Einsicht.

Davids Körpergebet

Ich habe so etwas übrigens auch in der Bibel gefunden, in den Psalmen. Psalm 141 ist ein Davidspsalm, und dort heißt es: „Mein Gebet möge vor dir gelten als ein Räucheropfer, das Aufheben meiner Hände als ein Abendopfer“ (Vers 2).

Mein Gebet möge vor dir gelten als ein Räucheropfer, das Aufheben meiner Hände als ein Abendopfer.

David, Psalm 141

Die beste und „eigentliche“ Art, Gott zu suchen, wäre das Räucher- oder Abendopfer gewesen. Doch aus was für einem Grund auch immer war David dazu nicht in der Lage. Vielleicht war er auf Reisen – oder reiseunfähig hin zum Tempel. Aber er bietet Gott einen Ersatz an – das, was er nur noch zustande bringt: Wort-Gebet und Körpergebet. Ich setze diesen Gedanken für mich so fort: Selbst wenn ich kein Wortgebet mehr hinkriege, bleibt mir das Körpergebet. Und wenn ich noch nicht einmal meine Hände vernünftig hochheben kann (weil ich vielleicht durch Schmerzmedizin abgeschossen im Bett liege), bleibt mir das Gebet meines Körpers, der einfach nur da ist. Von Gott gesehen wird. Und Gott weiß das zu lesen.

Dr. Ulrich Wendel

Redakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin