sela. DER BLOG

Der Blog des Gebetsmagazins sela. greift Fragen auf, die rund um das Thema Gebet aufkommen.

Gebet für Kranke – wie geht das? (Teil 4)

Natürliches und übernatürliches Handeln Gottes

Wenn wir für Kranke beten, erwarten wir im Grunde ein Wunder Gottes: Er möge eingreifen und das bewirken, was sonst – von allein – nicht passieren würde. In diesem Sinne ist im Neuen Testament von „Kraftwirkungen“ die Rede. Wunder sind nach unserem Verständnis etwas Übernatürliches. Dementsprechend reagierten die Menschen auf die Wunder von Jesus: „So etwas haben wir noch nie gese-hen!“ (Mk 2,12). Wenn wir also um Krankenheilung beten, beten wir um übernatürliches Eingreifen Gottes. Was Gott in die Schöpfung hineingelegt hat und was alle Menschen, auch ohne Gott, erfahren können, reicht nicht aus. Wir bitten um mehr als die Kräfte der Schöpfung, wir bitten um Neuschöpfung. Wir erhoffen an dieser Stelle nicht allein das Handeln Gottes, des Schöpfers, sondern Gottes, des Neu-schöpfers. Diese Neuschöpfung besteht oft darin, dass die Funktionen der Schöpfung, so wie sie gemeint waren, wiederhergestellt werden: Gelähmte gehen wieder, Ertaubte hören wieder usw. (Darüber heißt Neuschöpfung im Neuen Testament auch, dass die Gottesbeziehung wiederhergestellt wird und jemand Gottes Wirken am „inneren Menschen“ erlebt.)

Auch hier sollten wir aber beides in die richtige Beziehung zueinander bringen, die Schöpfung und die Neuschöpfung. Gott stellt die Funktionen und die Gesetzmäßigkeiten seiner Schöpfungswerke gern wieder her. Doch nicht in jedem Fall überspringt er dabei diese Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung. Das bedeutet:

  • Ein erschöpfter Körper braucht auch einfach Ruhe zur Regeneration. Wenn wir uns verausgabt haben und uns wünschen, wir möchten am folgenden Tag sofort wieder in unserer ganzen Kraft sein, dann wird Gott – als Neuschöpfer – nicht in jedem Falle ein Wunder tun, sondern er wirkt als Schöpfer gemäß den Rhythmen seiner Schöpfung und ermöglicht es, dass der Körper sich durch Ausruhen erholt.
  • Es kann sein, dass jemand um Gesundheit und die volle Funktion seines Körpers beten möchte, um sich weiter für Gottes Reich einsetzen zu können – jedoch geht er mit seinem Körper nicht sorgsam um. Bewegungsmangel und Junk-Food-Ernährung verursachen Beschwerden. Auch hier wäre es angebracht, in die Gegebenheiten von Gottes Schöpfung zurückzukehren, anstatt vom Neuschöpfer zu erbitten, dass er gegen seine Schöpfung arbeitet.
  • Ist jemand durch eine Infektion geschwächt, haben wir natürlich alle Möglichkeiten, um Genesung und um Heilung zu beten. Wir wissen aber auch, dass Gott in den Körper Regenerationskräfte hineingelegt hat: medizinisch beschreibbare Abläufe, mit denen der Körper Infektionen bekämpft. Das gehört zur guten Schöpfung Gottes (selbst wenn die Krankheit selbst nicht dazu gehören mag). Warum sollte Gott, der Neuschöpfer, jedes Mal seine Schöpfungswerke nachbessern, wenn doch seine Werke als Schöpfer bereits gut sind?

Wir sollten beim Gebet für Kranke daher keine Wertung vornehmen in dem Sinne, dass ein Werk der Neuschöpfung (ein Wunder) in jedem Fall besser wäre als ein Werk der Schöpfung. Unser Vertrauen auf Gottes Wunder sollte nicht zu einem Misstrauen gegenüber dem Schöpfer führen. Auch hier ist es gut, wenn wir unseren Erwartungshorizont weit ausspannen. Dabei brauchen wir gar keine künstlichen Unterscheidungen zu treffen und müssen nicht vorher fein justieren, um was wir genau beten wollen. Wir geben Gott sicherlich am ehesten Ehre, wenn wir ihm die Wahl überlassen, wie er heilend handelt.

Unser Gebet hat Aussicht auf Erhörung, wenn wir nach Gottes Willen beten. Das betont der 1. Johannesbrief (5,14), wenngleich er auch allgemeinere Verheißungen für das Gebet enthält (3,22). Das Gebet gemäß dem Willen Gottes gehört zum Vaterunser, es war die entscheidende Weichenstellung im Leben von Jesus und es ist im Leben der Glaubenden wichtig, auch wenn sie bereits ihre festen Vorstellungen davon haben, wie Gottes Pläne aussehen (Mt 6,10; 26,39-44; Apg 21,14).

Natürlich dürfen wir Gott auch frei heraus sagen, was wir wollen, wie Kinder es ihrem Vater sagen. Als Beterinnen und Beter bewegen wir Gottes Herz, sodass er willens wird, etwas zu tun, das er nicht in jedem Fall schon vorher vorhatte. Gott gibt uns manche Dinge nur dann, wenn wir ihn darum bitten (Jak 4,2).

Dennoch geht es beim Gebet für Kranke nicht darum, Gott zu überreden oder ihm unseren Willen aufzuzwingen. Glaube bedeutet auch, Gott zuzutrauen, dass er besser weiß als wir, was am besten für uns ist. Ein Glaube, der sich vertrauensvoll in Gottes Willen fallen lässt, ist nicht schwächer als ein Glaube, der das Erbetene jetzt schon vorwegnehmend ergreift.

Doch ist es nicht immer Gottes Wille, Kranke zu heilen? Zeigt uns das nicht das Beispiel von Jesus, der keinen Kranken abgewiesen hat und der nicht nur unsere Schuld, sondern auch all unsere Krankheit getragen hat (Mt 8,17)?

Ich halte es nicht für richtig, aus einer bestimmten Schrifterkenntnis heraus („Gott will immer heilen“) eine starre Regel zu machen, die Gottes Souveränität beschneidet. Wir haben viele und große Verheißungen für das glaubensvolle Gebet und für Heilung. Wir wissen aus der Heiligen Schrift aber auch, dass Gott in bestimmten Situationen ein Gebet nicht erhören will, weil er etwas anderes vorhat. Wir sehen in der Bibel ferner, dass nicht jede Gebetserhörung sofort eintrifft. Selbst wenn wir daran festhalten, dass Gott jede Krankheit heilen möchte, müssen wir zugestehen, dass er dies manchmal spät und manchmal auch erst in der Ewigkeit tut.

Wir müssen also auch an dieser Stelle beides im Blick haben:

  • Heilung als Verheißung; Heilung als Reaktion, die Gottes Barmherzigkeit auf die Not der Kranken entspricht;
  • Gottes übergeordneter Wille, der weiser, liebevoller und barmherziger ist als unsere Sicht der Dinge; Gottes Wille, der sein eigenes Zeitmaß hat.

Ein Gebet von Paulus bietet uns ein gutes Beispiel, um daran für unser Beten Maß zu nehmen. Dieses Gebet hat er in Römer 1,8-15 zusammengefasst; es wurde weiter oben schon erwähnt. Paulus hat ein bestimmtes Anliegen: Er möchte gern nach Rom reisen, um auch dort seinem Auftrag und seiner apostolischen Berufung zu folgen. Er will die Gemeinde im Glauben stärken und das Evangelium verkündigen. Dass Gott das von ihm erwartet, ist für ihn völlig klar – dazu hat Gott ihn beauftragt. Dennoch betet er nicht in der Erwartung, dass sich sein Wunsch sofort erfüllt. Vielmehr bezieht er die Frage nach Gottes Willen ein: „ob es mir wohl durch den Willen Gottes endlich einmal gelingen wird …“ (Röm 1,10). Das ist durchaus eine Art von Vorbehalt. Doch niemand würde sagen, dieses Gebet von Paulus sei halbherzig oder glaubensschwach. Im Gegenteil, seine Zuversicht ist sehr stark, dass er in Rom Gutes ausrichten wird: „Ich weiß aber, dass, wenn ich zu euch komme, ich in der Fülle des Segens Christi kommen werde“ (Röm 15,29).

Auf diesem Hintergrund würde ich auch einem stark verheißungsbasierten Gebet, für das mir Gott ein großes „Maß des Glaubens“ (Röm 12,3) geschenkt hat, immer die Bitte „Dein Wille geschehe“ hinzufügen – ohne die Sorge, dass die Dringlichkeit des Anliegens dadurch abgeschwächt würde.

Dr. Ulrich Wendel

Redakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin