Wir erwarten Zeichen und Wunder von Gott
Zum Schluss der Artikelserie möchte ich einen noch anderen Akzent setzen: Die Erfahrung von Zeichen und Wundern gehört ganz klar zu den Normalzuständen der neutestamentlichen Gemeinde! Die Urgemeinde von Jerusalem ist ein Modell für uns bis heute, und hier gehörten Gottes Kraftwirkungen zum Alltag. Dass es auch für Paulus so war, habe ich in dieser Artikelserie mehrfach vermerkt. Die Überlegungen dazu sind mein Versuch, glaubensvolles Gebet mit Weisheit und mit Einsichten aus der Heiligen Schrift zu verbinden – doch damit ist nicht gemeint, nur mit angezogener Handbremse für Kranke zu beten. Das Reich Gottes bestand seit jeher nicht in Worten, sondern in Kraft (1Kor 2,4-5; 4,20; 1Thess 1,5). Die Verkündigung des Evangeliums war von Beginn an deshalb wirkungsvoll, weil Gott sein Wort durch Zeichen bekräftigt hat.
Wir beten für Kranke, weil Gott uns diese Möglichkeit gibt und weil sie seiner Herrschaft entspricht. Damit ist zugleich gesagt: Wir beten nicht für Kranke …
- um Leiden aus dem Weg zu gehen,
- um Erfolge für unseren Glauben einzusammeln,
- um unsere Theologie zu bestätigen.
Vielmehr sind Kraftwirkungen die Begleiterscheinung des Reiches Gottes und des Evangeliums. Heilung ist – aus Barmherzigkeit den Notleidenden gegenüber – einerseits ein Wert an sich, andererseits aber immer etwas Größerem zugeordnet: Gottes Reich und Gottes Ehre.
Weil Gott sein Reich so ausbreitet, wie er es uns im Neuen Testament gezeigt hat, steht es uns nicht frei zu wählen, ob wir in unserer Gemeinde Kraftwirkungen möchten oder nicht. Gott hat sie für seine Gemeinde vorgesehen. Wir sollten nicht weniger als diese Fülle erwarten.
Ganz praktisch: Wie möchte ich für Kranke beten?
Ich persönlich möchte für Kranke auf folgende Weise beten:
- im Rahmen einer Gemeinde, die diesen Gebetsdienst will und fördert,
- gemeinsam mit einem weiteren Beter bzw. einer Beterin im Team,
- mit genügend Zeit und Ruhe, um die Situation der kranken Person zu er-fassen,
- mit Ruhe, um wahrzunehmen, welche Erwartungen sie an das Gebet her-anträgt, und für mich zu klären, ob ich diesen Erwartungen entsprechen kann,
- ohne eine allzu ausführliche Bestandsaufnahme oder eine ausgedehnte Befragung (denn es geht um einen Gebetsdienst, nicht um Seelsorge),
- im Kontext einer Gemeinde, die außer Gebet auch Seelsorgeangebote hat, auf die ich jemanden ggf. verweisen kann, wenn ich den Eindruck gewinne, mit Gebet allein sei ihm noch nicht ausreichend geholfen,
- im Hören auf Gott, um Impulse zu empfangen, die meinem Gebet eine Richtung geben können,
- auf der Grundlage von biblischen Verheißungen und in der Erwartung, dass Gott mir beim Beten die persönlich passenden Verheißungen für diese Person in den Sinn gibt,
- ohne die kranke Person unter Druck zu setzen,
- wenn angebracht, in Verbindung mit einer Handauflegung oder einer Krankensalbung (aber nie ohne vorheriges Einverständnis der kranken Person),
- gern mit dem folgenden liturgischen Gebet (oder einer Variation davon), das die Fürbitte abschließen kann:
Anhang: Neutestamentliche Übersicht über Begleitumstände von Heilungen
Fragen wir zuerst nach der Praxis der Apostel bzw. der Jünger im Urchristentum (die Apostelgeschichte macht im Blick auf die Vollmacht keine grundlegende Unterscheidung zwischen Aposteln und Jüngern). Ich habe dabei die Krankenheilungen betrachtet, nicht die Totenauferweckungen und nicht die Dämonenaustreibungen, die eine Kategorie für sich sind.
Folgende Vorgehensweisen sind ablesbar:
- Aufforderung an den Kranken (Gelähmten), aufzustehen, als ob er geheilt sei (Apg 3,6; 9,34; 14,10)
- Ankündigung an den Kranken, er werde gesund werden (Apg 9,17.34)
- Gebet (Apg 28,8)
- Handauflegung (Apg 28,8)
- bei der Hand ergreifen (Apg 3,7)
- Ohne genauere Angaben: Kranke wurden geheilt bzw. ließen sich heilen (Apg 5,16; 28,9)
Gelegentlich werden einzelne Elemente kombiniert: c) und d); c) und a) (bei einer Totenauferweckung, Apg 9,40).
Noch vielfältiger ist das Bild bei den Heilungen von Jesus:
- Berührung durch Jesus (Mt 8,3.15; 9,29; 20,34; Mk 1,31.41; 7,33; Lk 14,4; 22,51)
- Handauflegung (Mk 8,23.25; Lk 13,13 ); als Wunsch der Begleiter des Kranken: Lk 7,32
- Berührung Jesu durch eine Kranke (Mt 9,20-21)
- Schöpferwort „sei rein“; „sei gesund“, „sei sehend“, „dir geschehe nach deinem Glauben“ etc. (Mt 8,3.13; 9,22.29; Mk 10,52; Lk 13,12)
- Anrede an das kranke Körperteil durch ein Schöpferwort (Mk 7,33)
- mit (Brei aus) Speichel (Mk 7,33; 8,22; Joh 9,6)
- mit Aufforderung, jetzt loszugehen und die Heilung zu erwarten (Mt 8,13; 9,6; Mk 10,52; Lk 17,14; Joh 4,50; 5,8; 9,7)
- nachdem Jesus nach dem Glauben gefragt hat (Mt 9,28)
- Jesus richtet eine Kranke auf (Mk 1,31)
- Jesus bedroht die Krankheit (Lk 4,39; genau genommen gebietet Jesus der Krankheit nicht!)
- (eine Art von) Gebet (Mk 7,33-34; der Blick zum Himmel und das Seufzen dürften wohl ein Gebet gewesen sein)
- Kranker soll Hand ausstrecken (Mt 12,13)
- Mit Frage, was Jesus für d. Kranken tun soll (Mt 20,32)
- ohne ein weiteres Wort (Mt 20,34; Lk 7,9-10)
- ohne eine bestimmte Handlung (Lk 7,9-10)
- mehrstufiger Vorgang (Mk 8,22-26; vgl. Joh 5,5-9.14; 9,1-7.35-38
Auch bei Jesus gibt es manchmal Kombinationen mehrerer Elemente:
a) und d)
d) und b)
f) und g)
d) und g)
a) und i) (Mk 1,30)
a), f) und k)
All das ergibt nach meiner Wahrnehmung kein erkennbares Muster, aus dem man ablesen könnte: In diesem Fall geht Jesus so vor, in jenem Fall anders. Es scheint, als würden generell nicht immer alle Begleitumstände berichtet. So ist es bei dem oder den Blinden vor Jericho: Nach Matthäus berührt Jesus ihre Augen, sagt aber nichts; nach Markus gab es keine Berührung, aber Jesus fordert sie zum Losgehen auf; nach Lukas spricht er ihnen das Schöpferwort der Heilung zu (ohne Berührung).
Vielschichtig ist auch die Heilung der Frau mit den Blutungen nach Markus: Sie wurde sehr schnell und erkennbar geheilt (Mk 5,29), Jesus bestätigt diese Heilung („hat geheilt“, V. 34), schickt sie dann los und – spricht ihr abschließend die Heilung zu (als ob sie erst mit diesem Schöpferwort einträfe; V. 34). Auch hier kann man keinen „geordneten“ Ablauf ablesen.
Nach meinem Eindruck ist das, was Jesus tat, für uns heute nicht besonders gut als Orientierungsmuster geeignet: Dazu ist es eben zu vielfältig und unsystematisch. Eher sollten wir uns an die Praxis in der Apostelgeschichte halten. Doch auch hier ist das Bild vielfältig. Es gibt eher an, was möglich ist, und nicht, wie man vorgehen soll. In der Apostelgeschichte finden wir ja zumeist Schilderungen, aber keine Anweisungen (beschreibende, aber keine vorschreibenden Texte; deskriptive, aber keine präskriptiven Texte).