sela. DER BLOG

Der Blog des Gebetsmagazins sela. greift Fragen auf, die rund um das Thema Gebet aufkommen.

Gottes eigene Verzweiflung?

Der schwedische Autor Hennig Mankell (1948–2015) ist nicht gerade bekannt für religiöse Bücher. Er steht vor allem für spannende Krimis rund um den fiktiven Ermittler Kurt Wallander. Doch auch mit Afrika befassen sich viele seiner Romane.

Einer davon heißt „Das Geheimnis des Feuers“. Er handelt von einem jungen afrikanischen Mädchen, Sofia, das – neben anderen Schicksalsschlägen – durch eine Explosion schwer verletzt wird.

Eine der Personen in Sofias Leben ist der Priester José-Maria. Mankell erzählt in einer Episode, wie der Priester angesichts des vielen Leides betet:

Gebet eines Betroffenen

„José-Maria war Pfarrer. Er glaubte an Gott. Vor langer Zeit war er in Brasilien aufgewachsen. Damals hatte er sich entschieden, Pfarrer zu werden. Viele Jahre später war er als Missionar ins ferne Afrika geschickt worden, in das Land, in dem Bürgerkrieg herrschte und viele Menschen großem Leid ausgesetzt waren.

Seitdem waren Jahre vergangen. José-Maria dachte manchmal, dass er mit seinem Gott Probleme hatte. Ihm fiel es schwer, alles zu begreifen, was den Menschen widerfuhr. Oder war es vielleicht umgekehrt? Hatte Gott Probleme mit José-Maria?

Manchmal saß er abends mit dem Kruzifix in der Hand da und versuchte mit Gott zu sprechen.

An diesem Abend sprach er über Sofia. Er versuchte zu verstehen, warum ein kleines Mädchen wie sie so leiden musste. Warum hatte ihre Schwester sterben müssen? Er meinte eine müde Stimme in seinem Innern zu hören. Es war, als ob er selbst spräche, aber als ein sehr alter Mann. Die Stimme war alt und brüchig, die Worte undeutlich wie entferntes Flüstern.

Gott ist ein Rätsel, dachte er. Das Schweigen, dem ich begegne, ist Gottes eigene Verzweiflung. José-Maria saß bis tief in die Nacht hinein mit dem Kruzifix in der Hand da. Dann machte er das Licht aus.“

(Henning Mankell, Die Macht des Feuers, Sofias Geschichte. Zürich 2005, 71-72)

Gott ist ein Rätsel, dachte er. Das Schweigen, dem ich begegne, ist Gottes eigene Verzweiflung.

Henning Mankell

Wenn Gott schweigt

Mich hat beim Lesen angerührt, was Mankell dem Priester in den Mund legt (bzw. in seine Gedanken – er scheint sein Gebet und seine Überlegungen nicht laut auszusprechen.)

Gott schweigt – diese Erfahrung kennen die meisten von uns. Auf das viele Leiden um uns und bei uns finden wir selbst oft keine Antwort, und von Gott kommt oft lange Zeit auch keine. Doch Mankell bleibt nicht dabei stehen, vom Schweigen Gottes zu erzählen. Er wagt auch eine Deutung: Das Schweigen ist Gottes eigene Verzweiflung.

Ist das eine angemessene Art, von Gott zu reden? Kann es sein, dass Gott verzweifelt?

Sicher nicht in dem Sinne, dass Gott völlig hoffnungslos wäre. Aber dass Gott schier verzweifelt an seinen Geschöpfen, denen er die Freiheit gab, sich von ihm abzuwenden, und auch, sich gegeneinander zu wenden und einander Gewalt anzutun – irgendwie kann ich mir das schon vorstellen. Auch wenn vielleicht nicht jeder Dogmatikprofessor hier zustimmen würde.

Gott hält nur aus

Mir kommt in den Sinn, was mir kürzlich Jürgen Thiesbonenkamp gesagt hat. Er war Vorstandsvorsitzender des Hilfswerks Kindernothilfe und hat auf seinen Reisen wahrhaft viel Elend gesehen. Ich konnte ihn interviewen und fragte ihn auch nach seinen Eindrücken, die er von großem Leid bekommen hat. Er meinte:

„Auch Gott ist ja da und hält manchmal nur mit uns aus, was auf dieser Erde leider nicht so funktioniert, und ändert es nicht, etwa indem er als Allmächtiger wirkt. Und doch macht er uns auch immer wieder Mut und sagt: Ich brauche dich, damit es besser wird.“

Auch Gott ist ja da und hält manchmal nur mit uns aus, was auf dieser Erde leider nicht so funktioniert, und ändert es nicht ...

Dr. Jürgen Thiesbonenkamp

Ich antwortete: „Dass Gott das Leid ‚nur‘ aushält, das ist für uns ja oft kaum auszuhalten …“

Thiesbonenkamp darauf: „Es gibt diesen geprägten Satz: ‚Die Allmacht Gottes ist die Ohnmacht der Liebe.‘ Das klingt fast gestelzt oder wie ein dogmatischer Satz. Aber dass Jesus am Kreuz stirbt, offenbart diese Seite Gottes. Und mit dem Kreuz ist gesagt: All das Böse, das sich auch gerade hier manifestiert, behält nicht das letzte Wort.“

(Das Interview ist in Magazin Faszination Bibel 1/2025 erschienen.)

Gott hält das Leid nur aus und ändert es nicht durch seine Allmacht. Auch das ist so eine kühne Feststellung, die aber viel Wahrheit in sich hat.

Wie beten wir?

Was bedeutet das für unser Beten angesichts des Leidens? Es ist gut, Gott zu bestürmen. Aber manchmal ersterben uns die Worte im Mund. Vielleicht ist die Romanfigur von Henning Mankell, Pfarrer José-Maria, kein schlechtes Modell für uns als Beterinnen und Beter. Wenn Gott vieles „nur aushält“ (wie Thiesbonenkamp sagt), dann ist es vielleicht eine sehr wahrhaftige Reaktion, wenn wir als Beterinnen und Beter so vor Gott sitzen wie der Pfarrer. Ohne Antworten, vielleicht ohne formulierte Bitten. Dasitzen und versuchen, es auszuhalten. Und mitzuleiden. Mit oder ohne ein Kruzifix in der Hand.

„José-Maria saß bis tief in die Nacht hinein mit dem Kruzifix in der Hand da. Dann machte er das Licht aus.“

Dr. Ulrich Wendel

Redakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin.

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