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Paddeln oder sich treiben lassen?

Um auf unserer persönlichen Reise ins Gebet voranzukommen, ist es hilfreich, sich klarzumachen, was es für verschiedenen Arten von Gebet gibt. Wenn wir das tun, können wir herausfinden, welche Art uns vielleicht bisher noch gefehlt hat. Und wir können auch zwischen hilfreichen und eher hinderlichen Gebetsarten unterscheiden.

Wichtige Gedanken dazu habe ich bei Strahan Coleman gefunden. Coleman ist Musiker und Autor aus Neuseeland. Seine chronische Erschöpfungskrankheit hat ihm viele Gebetsformen aus der Hand geschlagen, die ihm vorher wichtig und hilfreich waren. In diesem Zuge hat er das Betrachtende Gebet für sich entdeckt. Sein Buch dazu heißt Beholding. Deepening Our Experience in God (erschienen 2023 bei David C Cook).

Geschäftspartner oder Familie

Eine Unterscheidung, die er trifft, ist die zwischen geschäftsmäßigem und familiärem Gebet (transactional vs. familial prayer). Wer geschäftsmäßig betet, tut alles dafür, um die Beziehung zu Gott in Ordnung zu bekommen oder in Ordnung zu halten. Im Hintergrund steht ein „geschäftsmäßiges Evangelium“ (transactional gospel): Wir sind vor Gott schuldig geworden und Gott sandte seinen Sohn, um unsere Schuld zu bezahlen. Doch das Evangelium zielt ja nicht nur auf Ausgleich, auf Begleichung einer Schuld, sondern auf Nähe – so Coleman. Auch unser Gebet soll und darf daher auf Nähe ausgerichtet sein. Gebet wird dann zum Gespräch oder zur wortlosen Gemeinschaft wie zwischen Familienmitgliedern.

Eine Unterscheidung Colemans dabei macht mich betroffen, weil ich meine eigene Gebetshaltung darin (leider) wiederfinde: Beim geschäftsmäßigen Gebet beten wir nicht, weil wir angenommen sind, sondern damit wir angenommen werden (In transactional Prayer, we don’t pray from acceptance but for it). Aber das trifft den Sinn des Gebets natürlich nicht. Ich persönlich brauche so eine neue Ausrichtung immer wieder – von Gottes Liebe her zu kommen, anstatt sie anzustreben, als wäre sie noch nicht gegeben.

Und noch so ein entlarvender Satz von Coleman: „Viele von uns sind wie Kinder, die empfinden, dass Gott uns vergeben hat – aber dass er uns nicht mag.“ Noch ein Anlass mehr, Gottes Liebe in der Tiefe wiederzuentdecken.

Paddeln oder sich treiben lassen

Eine andere Unterscheidung ist die zwischen einer Gebetshaltung, die rudert bzw. paddelt, und einer, die sich zwischendurch auch treiben lässt. Coleman nennt das floating and canoeing in the river of God. Dahinter steht das Bild einer Fahrt mit dem Kanu. Ein Kanu zu paddeln ist durchaus eine anstrengende Sache, es geht jedenfalls nicht ohne Energieeinsatz. „Sich treiben lassen“ hat im Deutschen manchmal eine negative Tönung, ebenso der Ausdruck „mit dem Strom schwimmen“. Es klingt oft willenlos und passiv.

Coleman setzt die Akzente aber anders. Mit dem Bild vom Kanu meint er: Man kommt auf dem Fluss voran und bringt das Kanu durch eigenen Einsatz nach vorn. Beten, das diesem Bild entspricht, ist eine wichtige und nötige Form. Doch zwischendurch sollten wir uns immer wieder auch einfach „treiben lassen“, d.h. uns der Kraft und der Richtung des Flusses anvertrauen und uns dabei gern einmal ausruhen.

Zwischendurch sollten wir uns immer wieder auch einfach „treiben lassen“, d.h. uns der Kraft und der Richtung des Flusses anvertrauen und uns dabei gern einmal ausruhen.

Strahan Coleman

Mit Paddel-Gebet verbindet Coleman z. B. Fürbitte, Bittgebet und Lobpreis: „die Art des Gebets, die den Vorhang für Gottes Wirken in unserer Welt aufzieht“. Wir sind beteiligt und aktiv, wenn wir so beten. Mit dem Flussströmungs-Gebet meint Coleman ein Gebet der Ruhe, das uns zutiefst eins macht mit dem Fluss der Liebe Gottes, auf dem wir treiben.

Für die einen ist Paddeln leichter, für andere das Obenauf-Treiben. Ein gesundes Leben der Gemeinschaft mit Gott braucht beides. Anders als bei der Unterscheidung zwischen geschäftsmäßigem und familiärem Gebet gibt es hier also kein Besser oder Schlechter. Es sollte nur ausgeglichen sein.

Wenn es einseitig wird

Allerdings stehen Colemans Betrachtungen über Kanu und Strömung in einem bestimmten Kontext. Er beobachtet, dass viele öffentlichkeits-wirksame Christen vielerlei bewirken. Die ihnen anvertrauten Gaben kommen voll zum Einsatz. Doch die Frucht des Geistes ist bei ihnen nicht gleich stark ausgeprägt wie die Gaben des Geistes. Viele sind aktionsstark, aber nicht charakterstark. Und daraus entsteht nicht selten eine unbarmherzige Atmosphäre, die über andere Menschen hinweggeht und vorwiegend auf Resultate, Konsequenz und Gehorsam orientiert ist. Hier vermisst Coleman eine gesunde Balance. Und die, so seine These, kann man wiedergewinnen mit der Balance zwischen Paddelgebet und Sich-obenauf-treiben-lassen-Gebet.

Letztendlich geht es auch hier also darum, sich Gottes Liebe auszusetzen und von ihr her zu leben anstatt sie (durch Beten oder Aktion) zu erstreben. Wenn die Art unseres Betens der Schlüssel ist zu der Weise, wie wir leben und handeln – dann tun wir gut daran, die ganze Bandbreite des Gebets zu erfassen.

Dr. Ulrich Wendel

Redakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin