„Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden“ – bei dieser Zeile des Vaterunsers möchte ich oft innehalten. Denn ich verstehe sie nicht ganz. Was bedeutet es, dass Gottes Wille sich hier bei uns so verwirklichen soll, wie er sich im Himmel verwirklicht? Wie geschieht denn Gottes Wille im Himmel – also in seiner lebendigen, aber für uns unsichtbaren Realität? Und inwiefern wäre das dann ein Maßstab für mich, wenn ich versuche, Gottes Willen zu tun?
Dreieinigkeit und Engel
Meine Überlegungen steigen ein bei der Frage: Wer könnte denn im Himmel Gottes Willen tun? Innerhalb der Trinität wären da der Sohn und der Geist. Von Jesus wissen wir, dass er in seiner Zeit auf der Erde in Einklang mit dem Willen seines Vaters lebte. Es war ihm geradezu Nahrung und Genuss, diesen Willen zu tun (Johannes 4,34). „Der Sohn kann nichts von sich aus tun“ (5,19). Ebenso redet der Heilige Geist nicht aus sich selbst, sondern übernimmt seine Worte von Jesus (16,13-14). In der Dreieinigkeit herrscht gegenseitige Übereinstimmung.
In der Dreieinigkeit herrscht gegenseitige Übereinstimmung.
Und zur himmlischen Welt gehören – nach dem Zeugnis der Bibel – auch die Engel. Sie tun, was Gott gefällt – was ihm Freude macht (Psalm 103,21). Der Psalmbeter ruft sie auf, das zu tun, aber vielleicht ist dieser Aufruf vorwiegend ein rhetorisches Mittel. Ich stelle mir vor, Gottes Engel machen Gott gern Freude (und nicht nur deshalb, weil auf der Erde ein Beter sie dazu aufruft.)
Wie Gottes Wille geschieht
Wie also geschieht Gottes Wille im Himmel? Bereitwillig. Aus freien Stücken. In innerer Übereinstimmung mit Gottes Absichten. Und dies ist vermutlich möglich, weil alle da oben (Sohn, Geist, Engel) erkannt haben, was Gott auf dem Herzen hat. Und wie Gottes Herz beschaffen ist, nämlich integer, ohne Falschheit, voller Liebe, ohne Beimischungen von Bösem.
Wie geschieht Gottes Wille im Himmel? Bereitwillig. Aus freien Stücken. In innerer Übereinstimmung mit Gottes Absichten.
Und so soll sein Wille dann auf Erden, bei uns, geschehen: Bereitwillig. Aus freien Stücken. In innerer Übereinstimmung mit Gottes Absichten. Vertraut mit Gottes Herzen.
Bei der Vaterunserbitte und Gottes Willen kommt es also nicht zuerst auf das Was an, sondern auf das Wie.
Eine Orthodoxe Stimme
Diese Deutung der Vaterunserbitte finde ich auch in einer Stimme aus der Orthodoxen Kirche wieder:
„Frage: Warum beten wir: ‚Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden‘?
Antwort: Die Engel im Himmel gehorchen Gott dem Herrn nicht aus Angst, sondern aus Liebe, weil sie wissen und sehen, dass Er nur das Beste will. Und wir wünschen von ganzem Herzen, dass die Menschen auf Erden auch aus Liebe Gottes Willen tun, also Seine Gebote halten. Wir sagen ebenfalls unserem Vater im Himmel, dass wir mit allem demütig einverstanden sind, was sein Wille ist; wir bekennen das ausdrücklich, obgleich wir oft die Fügungen Gottes nicht verstehen. Wir wissen nämlich, dass Gott nichts Unrechtes wollen kann. Nur Menschen können Unrechtes wollen.“
(https://orthodoxe-bibliothek.de/index.php?option=com_mtree&task=viewlink&link_id=39&Itemid=0)
Wie soll das gehen?
Bleibt mir zum Schluss die Frage: Kann ich denn überhaupt Gottes Willen so tun – so aufrichtig? Bereitwillig? Aus freien Stücken? In innerer Übereinstimmung mit Gottes Absichten?
So wie ich mich kenne, kann ich das oft nicht. Und das ist vielleicht gerade der Punkt: Weil es nicht innerhalb meiner Möglichkeiten liegt, deshalb muss ich darum beten. Im Vaterunser.