sela. DER BLOG

Der Blog des Gebetsmagazins sela. greift Fragen auf, die rund um das Thema Gebet aufkommen.

Wenn beten langweilt (I)

Langeweile beim Beten – das gehört doch zu den unangenehmen Dingen des Lebens, die wir absolut vermeiden möchten, oder? Was langweilt, ist uninteressant und oft auch irrelevant.

Tatsächlich kann Langeweile ein Indikator sein, dass etwas aus dem Lot geraten ist. „Langeweile [ist] ein sehr bedeutendes Signal, um solche Situationen entweder zu verändern oder auch zu meiden“ (Thomas Götz, Universität Wien). Darum ist es hilfreich zu überlegen, wie wir unser Beten wieder re-vitalisieren können. Anja Schäfer hat im Gebetsmagazin sela.2025 dazu ausführlich geschrieben (Seite 110-112; dort auch das Zitat von Götz).

Doch Langeweile hat noch einen anderen Aspekt, und auf den möchte ich hier hinweisen. Der neuseeländische Autor und Musiker Strahan Coleman hat dazu herausfordernde Gedanken (in seinem Buch Beholding. Deepening Our Experience in God, erschienen 2023 bei David C Cook).

Mutterboden für Kreativität

Langeweile ist für ihn zunächst ein Menschenrecht. Und mehr noch: Als Musiker und Autor kennt er die Erfahrung, dass die besten Ideen und Ergebnisse oft aus extrem langweiligen Wochen, Tagen oder Phasen heraus entstanden sind. Wenn wir uns langweilen, können unsere Gedanken zu wandern anfangen – und in ganz neuen „Welten“ ankommen.

... die Erfahrung, dass die besten Ideen und Ergebnisse oft aus extrem langweiligen Wochen, Tagen oder Phasen heraus entstanden sind.

(Nach Strahan Coleman)

Coleman weiter: „Das ist schon bizarr: Man muss heute hoch motiviert sein, um sich zu langweilen. Es ist viel einfacher, auf der Toilette die Nachrichten zu lesen, beim Spazierengehen einen Podcast zu hören, die Autobahn zu nehmen statt der landschaftlich reizvollen Strecke, ein Buch zur Hand zu nehmen, noch einen Kaffee zu besorgen, das Haus zu putzen, die Arbeit nachzuholen – oder was auch immer das Mittel der Wahl gegen Langeweile ist. Welcher Mensch, der bei klarem Verstand ist, würde sich jemals dafür entscheiden, sich zu langweilen?“

Seine Antwort: Menschen, die das Betrachtende Gebet (beholding prayer) entdeckt und zu schätzen gelernt haben.

„Langeweile ist eine Voraussetzung für ein aufmerksames Leben (beholding life), denn sie ist ein gutes Zeichen dafür, dass wir endlich damit Schluss gemacht haben, uns zu überarbeiten und über uns selbst hinwegzugehen. Wir sind dann offen genug, um uns von dem überraschen zu lassen, was als Nächstes passiert. Wenn wir uns langweilen, dann deshalb, weil wir endlich genug Raum geschaffen haben, um über das nachzudenken, was wir brauchen …“

Chance fürs Gebet

Wenn Coleman die kreative Kraft der Langweile für sich als Autor und Künstler erwähnt, dann ja deshalb, weil wir Ähnliches für unser Beten erwarten können: Wenn unsere Gedanken einmal schweifen dürfen und wir uns dabei Gottes Gegenwart aussetzen, dann könnte es sein, dass wir unerwartet tief ins Gebet hinein kommen.

Langeweile wäre demnach nicht der Störfall, der uns lästig ist, sondern ein Zustand, den wir immer wieder anstreben sollten. Die Minuten zwischendurch, wenn wir von einer Tätigkeit zu anderen wechseln, können wir bewusst nutzen, um Raum zu schaffen für … für ‚nichts‘ erstmal, damit dann etwas passieren kann. Es geht um „die Entscheidung, im Straßenverkehr kein Radio zu hören, in der Toilettenpause nicht die sozialen Medien zu checken und bei Sonnenuntergang oder in einer regnerischen Nacht einfach nur aus dem Fenster zu schauen, anstatt einen Film anzusehen“ (Coleman).

Wir können uns angewöhnen, solche Inseln im Alltag zu entdecken. Das können stille Momente sein oder auch Augenblicke, die nicht direkt leise sind, in denen aber nichts Besonderes passiert. Und – das ist jetzt der Schritt, den wir gehen können – in denen auch nichts Besonderes passieren muss. Diese Momente haben Potenzial.

Dr. Ulrich Wendel

Redakteur von Faszination Bibel und von sela. Das Gebetsmagazin