Langeweile beim Beten ist eine ungeliebte Erfahrung. Darauf können wir wirklich verzichten. Interessanterweise sind es aber gleich mehrere Autoren, die zum Thema Gebet schreiben und auf den Wert der Langeweile gestoßen sind. Die Gedanken von Strahan Coleman habe ich schon vorgestellt (hier).
Wochenlang nichts passiert
Christiane Hammer ist Missionarin im Gebetshaus Augsburg und hat 2023 das Buch „Ganzheitlich Gebet. Beziehung mit Gott als Lebensstil“ herausgebracht. Sie widmet der Langeweile ein ganzes Kapitel. In einer bestimmten Phase ihres Lebens erlebte sie wochenlang in ihrem Gebetsraum, sechs Stunden am Tag – nichts. Keine geistlichen Empfindungen, keine Eindrücke. Die Wende kam, als sie auf den Gedanken eines Gebetslehrers stieß: „Hinter dem Vorhang der Langeweile wartet eine offene Tür, durch die wir Jesus sehen und [ihm] begegnen können.“
Drei Einsichten
Aus dieser Sichtweise heraus gewann Christiane Hammer Ausdauer, um dranzubleiben, auch wenn es zäh blieb und nicht plötzlich die Super-Erfahrungen vom Himmel purzelten. Ihre Lern-Einsichten daraus sind folgende:
- Langeweile ist gut. Denn sie lässt uns spüren, dass da gerade eben „nichts“ ist. Es kommt darauf an, diesen Raum der Leere nicht schnell mit irgendwas zu füllen, sondern offenzulassen und auszuhalten. Dieser Raum ist eine Gabe, „ein Geschenk, das sich zu öffnen lohnt“. Es bringt uns in Kontakt mit Gott.
- Langeweile ist ein Türöffner. „Das Gefühl der Leere auszuhalten … ist ein guter Boden für Kreativität und innere Durchbrüche.“ (Das klingt ganz ähnlich, wie Strahan Coleman es auch gesagt hat.) Langeweile schafft Ruhe, sodass sich eine Tür für Gottes Wort öffnen kann. Allerdings müssen wir dranbleiben, auch wenn wir etwas nicht sofort verstehen.
- Langeweile zeigt den Wert von Treue. Denn Gebet kann man ja nicht an irgendwelchen Erfolgs-Indikatoren messen. Einfach im Gebet dranzubleiben, ist das, was wir geben können. Und Gott sieht das. „Guter Tag, schlechter Tag – beides zählt vor Gott gleich. Du warst da – das ist es. Du hast ihn geliebt. Morgen wieder.“
Erfahrung aus der Tradition der Gebetslehrer
Ich finde es bemerkenswert, dass gerade der letzte Punkt, den Christiane Hammer herausstellt, schon vor langer Zeit vom Gebetslehrer Franz von Sales (1567–1622) formuliert wurde. Er spricht von der „Trockenheit in der Betrachtung“ uns sagt:
„Kommt es vor, dass du an der Betrachtung keinen Geschmack und keine Freude findest, so bitte ich dich: beunruhige dich deshalb nicht! Verrichte in solchen Zeiten mündliche Gebete; klage beim Herrn über dich selbst, […] sprich mit Jakob: ‚Ich lasse nicht von dir, o Herr, Du segnest mich denn‘ (Gen 32,26), oder mit der Kanaaniterin: ‚Ja, Herr, ich bin ein Hündlein, aber die Hunde fressen doch auch die Brosamen, die vom Tisch des Herrn abfallen‘ (Mt 15,27). – Ein anderes Mal […] sporne dein Herz an durch körperliche Bewegung […]. Empfindest du nach all dem noch immer keine Freude, dann rege dich darüber nicht auf, so groß auch die Dürre deiner Seele sein mag; bleib einfach in frommer Haltung vor Gott.“ (in: Philothea. Anleitung zum frommen Leben, Eichstätt 2015, S. 90-91).
Die Ehre, von Ihm gesehen zu sein
Im Folgenden zieht Sales einen Vergleich heran, der den damaligen Lesern ziemlich geläufig gewesen sein dürfte: der Umgang an einem Fürstenhof. Wir treten ein in die Welt der Diener, der Adligen, der Höflichkeit und der festen Rituale. Für die meisten von uns ist das keine Umgebung, die wir gern mit Gott vergleichen würden – Gott ist doch vor allem liebender Vater und kein unnahbarer Fürst. Aber wenn wir auf die durchaus vielen Körnchen Wahrheit achten, die in Sales’ Vergleich stecken, und wenn wir erfassen, worauf er hinauswill, dann hält dieses Gleichnis eine heilsame Gelassenheit im Umgang mit trockenen Gebetszeiten bereit:
„Wie viele Höflinge betreten oft und oft im Laufe des Jahres die Gemächer des Fürsten, nur um von ihm gesehen zu werden und ihm ihre Aufwartung zu machen, ohne Hoffnung, ihn auch sprechen zu können. So müssen auch wir ganz schlicht und einfach vor Gott hintreten im Gebet, um unsere Pflicht zu erfüllen und ihm Treue zu zeigen. Gefällt es der göttlichen Majestät, mit uns zu sprechen und sich mit uns durch heilige Einsprechungen und Empfindungen der Freude zu unterhalten, dann soll es uns eine große Ehre und festliche Freude sein. Gefällt es aber Gott, uns diese Gnade nicht zu erweisen, lässt er uns stehen, ohne mit uns zu sprechen, als ob er uns gar nicht sähe und wir gar nicht in seiner Gegenwart wären, so dürfen wir trotzdem nicht fortgehen, sondern müssen im Gegenteil vor der unendlichen Güte in frommer und ruhiger Haltung verharren. Dann wird Gott unfehlbar unsere Geduld wohlgefällig aufnehmen, unsere unbeirrbare Beharrlichkeit sehen und ein anderes Mal, wenn wir wieder zu ihm kommen, uns mit seinen Freuden beschenken und uns die Seligkeit des heiligen Gebetes fühlen lassen. – Tut er es aber nicht, dann wollen wir uns auch damit zufrieden geben; es ist für uns schon eine zu große Ehre, bei ihm zu sein und von ihm gesehen zu werden.“ (Seite 91)
Mit seinen Worten hat Sales beschrieben, was Christiane Hammer unvergleichlich pointiert zusammenfasst: „Du warst da – das ist es. Du hast ihn geliebt. Morgen wieder.“
Was die heilige Brigitta sagt
Und noch eine Gebetslehrerein aus der Tradition ist auf diese Spur gestoßen. Von der heiligen Brigitta von Schweden (1303–1373) wird erzählt, dass sie sich bei Jesus beklagt habe, dass das Gebet so trocken geworden sei. Darauf habe ihr der Herr erklärt, dass, wenn sie bete und dabei viel spüre, dies ein Geschenk von ihm an sie sei. Wenn sie aber bete, ohne etwas zu spüren, dann sei dies ein Geschenk von ihr an ihn. (Zitiert nach Margarete Eirich, Einsam? – Zweisamkeit mit Gott. Ein geistliches Exerzitium, 48f.)
Hinweis
Das Buch von Christiane Hammer ist bei SCM R.Brockhaus erschienen: www.scm-shop.de/ganzheitlich-gebet.html Die Gedanken von Franz von Sales (und weitere von ihm) habe ich aufgegriffen in meinem Buch „Alltagsbeter. Beten, auch wenn das Leben laut ist“, das es beim Verlag noch als E-Book gibt: https://www.scm-shop.de/alltagsbeter-7489024.html