Wer bewegt eigentlich etwas im Gebet? Bewegt Gott uns? Bewegen wir Gott? Bewegen wir seinen Arm? Ein paar Überlegungen dazu.
Gott, der anfängliche Beweger
Eines der größten Geheimnisse der Welt ist: „Dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts.“ Christen unterscheiden zwischen Schöpfung und Schöpfer. Sie sehen Gott als den großen Beweger, der alles ins Laufen gebracht hat. Den großen Anfänger unserer Welt und unserer Geschichte.
Wenn wir beten, dann reden wir also mit einem Gott, der schon in Bewegung war, bevor wir zu atmen und zu sprechen wussten, bevor es überhaupt etwas gab. Wir reden zu Gott, mit dem alles angefangen hat.
Wenn wir beten, dann reden wir mit einem Gott, der schon in Bewegung war, bevor wir zu atmen und zu sprechen wussten.
Gott, der weiterhin bewegende Beweger
Doch dass Gott die Welt und alles drumherum geschaffen hat, bedeutet nach der Bibel weit mehr, als nur ihr einen Anfang zu setzen.
Es bedeutet, dass Gott permanent in seiner Schöpfung wirkt. Gott ist nach der Bibel der weiterhin bewegende Beweger. Ein biblischer Begriff, der diese dynamische, bewegende Kraft Gottes zum Ausdruck bringt ist ruach (übersetzt Geist). Der Geist Gottes wirkt von Anfang an, an der Schöpfung und in ihr, und bringt Bewegung in das Ganze. Oder anders gesagt, der Geist Gottes bringt immer wieder neues Leben hervor und erhält die Schöpfung am Leben.
Wenn wir beten, dann reden wir also mit dem Gott, der um uns herum in seiner Schöpfung in Bewegung ist und in dessen Leben-schenkende und Leben-erhaltende Bewegung wir uns im Gebet hineinbewegen.
Wenn wir beten, dann reden wir mit dem Gott, in dessen Leben-schenkende Bewegung wir uns im Gebet hineinbewegen.
Wir müssen Gott nicht bewegen – er ist schon da
Für mich spielt es deshalb nicht so sehr eine Rolle, ob wir sagen, wir bewegen Gottes Arm, Herz oder Beine oder sonstige metaphorisch gedachten Körperteile. Wenn solche Sätze losgelöst von jeglichem Kontext auftauchen, sind sie einfach nicht richtig. Denn weder muss ich Gott durch mein Gebet zum Handeln bringen (Arme), noch zum Lieben (Herz) oder Mitfühlen (Eingeweide), noch zum Ortswechsel (Beine) animieren.
Gott ist der von sich aus bewegte Beweger. Gott wirkt, liebt und offenbart sich von sich aus. Ich muss den Gott des Alten und Neuen Testamentes nicht dazu bewegen oder im Gebet überreden in eine Situation hineinzukommen. Er kommt von selbst und ist schon da.
Wir und alles um uns herum, die ganze Schöpfung Gottes, wir leben in Gott und Gott bewegt sich mit seinem Geist in diesem Raum:(Denn in Gott leben, weben und sind wir. (Apostelgeschichte 17,28). Es gibt deshalb keine Räume und Orte quasi außerhalb von Gott, sondern die Schöpfung wohnt in Gott und Gott in ihr.
Wenn ich also manchmal den Eindruck habe, dass mein Gebet nicht über die Zimmerdecke hinausgeht und ich denke, dass ich Gott damit gar nicht erreichen würde, dann tut es gut zu wissen, dass Gott es trotzdem hört, weil er unter meiner Zimmerdecke wohnt.
Wenn Gebet also nicht bedeutet, Gott in Bewegung zu versetzen (weder seine Arme, sein Herz noch sonst etwas) – was bedeutet beten dann für mich und für Gott?
Gebet öffnet mich für Gottes Gegenwart
Es bedeutet für mich, dass Gott mir die Freiheit gibt, mich jederzeit und in jeder Lage mit allem, was mich bewegt, an ihn zu wenden. Gebet bedeutet: Gott darum zu bitten, mich für seine bereits vorhandene himmlische Gegenwart zu öffnen, die mir manchmal verschlossen scheint.
Gebet bedeutet: Gott darum zu bitten, mich für seine bereits vorhandene himmlische Gegenwart zu öffnen, die mir manchmal verschlossen scheint.
Mitten in unserer Welt ist durch Jesu Leben und Sterben eine Himmelsleiter aufgerichtet worden. Gott ist in Jesus diese Leiter hinabgestiegen, hat eine neue Verbindung mit sich durch seine Liebe geschaffen und hat dabei den Himmel gleich auf die Erde mitgebracht.
Mit meinem Gebet bringe ich Gott nicht dazu, auf der Leiter zu mir herunterzukommen. Ich klettere im Gebet auch nicht zu ihm hoch. Denn Gebet ist die Praxis, in der Gott, der Vater, mich durch seinen Geist aufgrund dessen, was Jesus Christus für mich persönlich getan, hat für seine Gegenwart öffnet. Oder kurz gesagt: Gebet ist einfach reden mit einem Gott, der schon da ist.
Gebet ist einfach reden mit einem Gott, der schon da ist.
Gott, der von seiner Schöpfung bewegte Beweger
Der Gott, mit dem wir da im Gebet reden, ist nach der Bibel ein zutiefst bewegter Gott. Ein von seiner Liebe und Treue zu seinen Geschöpfen bewegter Gott. Und was seine Geschöpfe bewegt, berührt, tangiert, das berührt auch Gott. Die größten Rettungsgeschichten des Alten und Neuen Testaments bezeugen, dass Gott sich von dem Leid und dem Elend seiner Schöpfung bewegen lässt und er auf sie eingeht.
Widerspricht das aber nicht dem vorigen Gedanken, dass Gott durch unsere Gebete nicht bewegt wird? Ja und Nein.
Denn was hier und an vielen anderen Bibelstellen deutlich wird, ist der kleine und feine Unterschied, dass Gott es ist, der sich von sich aus bewegen lässt. Er zeigt sein Gottsein dadurch, dass er uns in Freiheit entgegenkommt, auf unsere Bitten eingeht und sich davon anrühren lässt.
Gottes Entscheidung, sich bewegen zu lassen
Sind das bloß theologische Spitzfindigkeiten? Kann sein, denn so denkt der Theologe in mir nun mal. Doch der für mich entscheidende Unterschied liegt darin, dass nicht wir Gott dazu bringen müssten, sich zu bewegen, sondern dass Gott sich von sich aus dazu bewegt hat, auf uns und unsere Bitten zu- und eingehen zu wollen.
Der Grund dafür: Gottes Liebe. Eine zutiefst bewegte Liebe, die nicht in unseren Bitten ihren Grund und Ursprung findet, sondern in dem, was Gott in seinem Wesen selbst ist: reine, bedingungslose Liebe. Weil Gott nicht nur Liebe übrig hat, sondern Liebe ist, deshalb ist er bewegt von dem, was ihm begegnet. Es lässt Gott nicht kalt, was ihm in uns und unseren Bittgebeten begegnet.
Oder bildlich ausgedrückt: Gott liebt es, uns seine Hand hinzuhalten, sein Herz zu öffnen und von unseren bittenden, ausgestreckten Händen und unseren Herzensanliegen angerührt zu werden.
Gott am Arm ziehen
Und deshalb dürfen wir im Gebet manchmal auch die ausgestreckte Hand Gottes ergreifen, an seinem väterlichen Arm ziehen und ihm zeigen: „Schau mal da vorne, kannst du da bitte mit hinkommen?“ Und unser Vater im Himmel wird sich von uns ziehen lassen – an den Ort, an dem er längst schon war, um uns dadurch zeigen: Ich nehme dich und deine Bedürfnisse wahr und ich lasse mich von deinen Gebeten bewegen.
Ob Gott es auch ohne unser Gebet dorthin bewegt hätte? Wer kann das schon sagen? Dafür müsste man die Situation eins zu eins wiederholen, mal mit, mal ohne Gebet und selbst dann… Wer weiß denn schon, was Gott auch ohne Gebet vorgehabt hatte zu tun! Aber eines ist sicher: Nur derjenige, der gebetet hat, wird – wenn es in Erfüllung geht – es als Erhörung bezeichnen können. Nur wer betet, wird auch sagen können: Da ist eine Reaktion gewesen. Und nur wer betet, wird auch sagen können und manchmal müssen: Da hat Gott mein Gebet nicht erhört.
Gott, der bewegende bewegte Beweger
Wer sich im Bittgebet zu Gott hin öffnet, ist schon einen wichtigen Schritt gegangen: Er sieht sein Beten nicht nur als Mangelbewältigung für irgendeine schwierige Situation an, von der er sich erhofft, dass Gott sie klärt. Vielmehr bewegt er sich in Freiheit auf Gott zu und öffnet sich für die Freiheit Gottes, um ihm darin zu begegnen und in einen echten Austausch zu kommen. So werden im Bittgebet meine persönlichen Anliegen ihren Raum haben – und es ist mein tiefster Wunsch, dass sie im Gespräch mit Gott zum Gespräch Gottes mit mir werden. Dass Gott mir darin begegnet mit dem, was ihm dazu wichtig ist. Denn auch mein Bittgebet richtet sich ja nach dem aus, worum es in meinem Glauben an Jesus geht: um Gottes wunderschönes Reich. Um seine genialen Gedanken. Seine Herzenswünsche. Seine guten Vorstellungen. Seine schöpferischen Wege.
Türöffner und Antrieb
Gebet ist für mich deshalb auch der Türöffner meines Herzens,
um Gottes Herzschlag für mich und die ganze Schöpfung zu empfangen.
Gebet ist für mich die Öffnung meiner verschränkten Arme,
um in Gottes ausgestreckte Hände meine Hände hineinlegen zu lassen
und mit ihm gemeinsam anzupacken.
Gebet ist für mich der Antrieb,
meine eigenen Beine in Bewegung versetzen zu lassen,
um Gott dorthin nachzufolgen, wohin er mir schon vorausgegangen ist.
Vielleicht könnte man in Zukunft lieber sagen: Lasst uns beten, auf dass Gott unser Herz, unsere Hände, und unsere Beine bewegt.